75 Jahre Innovationen für die elektrische Sicherheit

Hidden Champion: SIBA wurde vor einem Dreivierteljahrhundert gegründet. Heute ist das Lüner Unternehmen das einzige verbliebene, das Sicherungen in Deutschland produziert. Das Erfolgsrezept? Eine Mischung aus Vorsicht, Risikobereitschaft, Wertschätzung für die Mitarbeitenden und stetem Erfindungsgeist.

„Wir waren die ersten weltweit, die Sicherungen speziell für Photovoltaik-Anlagen entwickelt haben. Darauf bin ich noch immer ziemlich stolz.“ Für Bernd Schwegmann senior, zusammen mit seiner Familie Inhaber von SIBA und lange Jahre auch Geschäftsführer des Unternehmens, ist es natürlich nicht überraschend, dass seine Firma die Potenziale des Marktes für regenerative Energien so rechtzeitig erkannt hat. Denn SIBA mit seinen heute rund 400 Mitarbeitern war stets ein klassisches, ingenieurgetriebenes deutsches Unternehmen von Tüftlern. Seine Produkte sind aktuell nicht nur in Solaranlagen, sondern auch in großen Trafos von Energieanlagen ebenso zu finden wie in kleinen elektronischen Sensoren und Geräten für die Industrie.

Carl Linz, der das Unternehmen 1946 in Lünen gründete, und sein jüngerer Bruder Otto, der Schwiegervater Schwegmanns, der 1964 die Geschäftsleitung übernahm, waren beide Ingenieure. Dass SIBA es trotz Materialmangels schaffte, bereits ein Jahr nach dem verheerenden Weltkrieg wieder elektrische Sicherungen zu produzieren, lag an der Findigkeit der Brüder: Sie besorgten sich Schmelzsicherungen, die „durchgebrannt“ waren – die Techniker nennen das viel schicker „abgeschaltet haben“. Und füllten deren Inneres wieder mit neuem Leben: Neue Schmelzleiter und neues Lichtbogenlöschmittel, also Quarzsand, machten aus Ausgedientem wieder Einsatzfähiges. So sorgten sie im energiehungrigen Wirtschaftswunderdeutschland dafür, dass die Lichter so lange wie möglich an blieben, indem sie vor allem die Anlagen der Energieversorger vor Schäden durch zu hohe schädliche elektrische Ströme schützten.

Neben Energieanlagen gehörten schnell auch Schaltanlagen zu den zentralen Anwendungsgebieten – sie sind in großen Gebäuden und bei Gewerbebetrieben dafür zuständig, dass der Strom der Versorger aufgenommen und weiterverteilt werden kann. Elektrische Sicherungen an diesen Stellen müssen ganz andere Belastungen aushalten als das, was man im eigenen Sicherungskasten in der Wohnung hat – obwohl SIBA auch dafür Produkte liefert. Der Fokus auf anspruchsvolle Schmelzsicherungen führte früh zu einer eigenen Abteilung für Forschung und Entwicklung. Wer selbst systematisch besser werden will, dem entgehen auch die großen Trends der Zeit nicht. Schwegmann kam zwar als Textilkaufmann und Betriebswirt 1970 zunächst in die Buchhaltung von SIBA, paukte aber Elektrotechnik auf der Fachschule und beim Laborleiter und lernte das Unternehmen intensiv kennen, bevor er 1980 Geschäftsführer wurde. Mit seiner Neugier nahm er die Fachleute für sich ein, indem er „den Ingenieuren ein Loch in den Bauch fragte, denn ich wollte das technisch schon genau wissen. Das gefiel den Experten.“ Schwegmann saß auch bei den regelmäßigen Entwicklungsgesprächen mit am Tisch – „wir hatten da fast jeden Monat 20, 30 neue Sicherungen im Programm.“

Schwegmanns Engagement imponiert auch dem Schwiegervater, denn der tat nach der Übergabe etwas, was vielen Gründern bei der Unternehmensnachfolge schwerfällt, nämlich nichts. „Du musst mit deinen Entscheidungen leben, nicht ich, sagte er und hat mir tatsächlich nie reingeredet“, betont Schwegmann. Der neue Chef nutzte den Freiraum für wegweisende Vorgaben. „Die wichtigste Entscheidung am Anfang war, dass wir die dreistufige Deckungsbeitragsrechnung einführten,“ so Schwegmann, denn nur so habe man feststellen können, welche Produkte tatsächlich rentabel seien. Doch zu entscheiden war nicht nur Fiskalisches. Den Boom des Digitalen auch in der Industrie vor Augen, übernahm SIBA 1990 die Dortmunder ELU, ein Unternehmen, das kleine und kleinste Sicherungen für die Industrieelektronik herstellte. „Das war sicher einer unserer wichtigsten Meilensteine“, bilanziert Schwegmann. Kein risikoloser, denn die Produkte hatten nur das Prinzip mit ihren großen Schwestern gemein. Komplett neue Herstellungslinien mussten aufgebaut, neue Vertriebsstrukturen eingerichtet werden. Die Firmenübernahme zahlte sich aus, der Produktbereich gehört zu den Stützen des Unternehmens.

Ebenso wichtig wie die Ausweitung auf Produkte für die Elektronik war, so Schwegmann, auch der frühe Schritt in die Internationalisierung. Schon Carl Linz hatte bereits in den Sechzigern ein internationales Netz von Handelsvertretern aufgebaut. Nachfolger Bernd Schwegmann gründete dann mit Hassen Ismail Hassen, einem indischstämmigen Südafrikaner, 1987 in Jeppestown die erste Tochtergesellschaft im Ausland. Nach Südafrika folgten mit Österreich und Großbritannien weitere Auslandstöchter, inzwischen ist SIBA in elf Ländern weltweit mit Vertriebsgesellschaften vertreten. „Dass uns die Gründung der vielen Auslandstöchter so gut gelang, lag auch am enormen Engagement meines damaligen Vertriebsleiters, Herrn Adams“, betont Schwegmann.

Zwar war die nachhaltige Herstellung in den Wirtschaftswunderjahren aus der Materialnot geboren. Doch effizienter Umgang mit wertvollen Rohstoffen – die Schmelzleiter vieler Produkte bestehen aus reinem Silber – prägte auch später die Produktpolitik von SIBA. Schwegmann: „Wir gehörten zu den Gründungsmitgliedern des NH-HH-Recyclingvereins“. Der Verein, in dem Produzenten und Hersteller sitzen, sammelt seit inzwischen mehr als 25 Jahren bundesweit abgeschaltete Sicherungseinsätze von Niederspannungs- und Hochspannungs-Hochleistungssicherungen (NH-, HH-) und verwertet vor allem das darin enthaltene Kupfer und Silber.

SIBA war also gut gerüstet für mehr nachhaltiges Wirtschaften wie es etwa bei der Energiewende seinen Ausdruck findet. Immer mehr regenerative Energien stellen auch immer mehr Ansprüche an die Technik der Sicherungen. Zum einen, weil zum Beispiel immer mehr Unternehmen auch ihre Betriebsgelände mit Solaranlagen ausstatten, solche Anlagen größer werden und spezielle Wechselrichter brauchen, die mit großen Spannungen auf der Wechselstromseite arbeiten. Zum anderen, weil gleichzeitig auch immer mehr hohe Gleichströme abgesichert werden müssen. Etwa in großen Batterieanlagen.

Damit sind wir an der Schwelle zur Zukunft. Auf die hat Inhaber Schwegmann seine Firma natürlich längst vorbereitet – indem er selbst 2010 das Zepter an seinen Sohn weiterreichte. Der stellte 2017 erstmals einen zweiten Geschäftsführer ein. Michael Schröer war zwar „familienfremd“, aber schon seit Jahrzehnten im Unternehmen. Bernd Schwegmann junior und Michael Schröer haben nicht nur die Themen Industrieelektronik und erneuerbare Energien vorangetrieben, sondern auch die Digitalisierung – heute helfen Industrieroboter bei der Fertigung. Ein halbautomatisches Hochregallager beschleunigt Kommissionierung und Vertrieb, Supply Chain- und CRM-Software optimieren Produktionsprozesse und Kundenbetreuung. Viele neue, junge Mitarbeiter tragen diese Entwicklung mit – das ist in der Produktion ebenso wie auf den Bürofluren zu spüren, wo sich die Menschen über alle Hierarchien hinweg kollegial duzen. Das wäre zu seinen operativen Zeiten vermutlich nicht vorstellbar gewesen, ist aber eigentlich genau im Sinn auch des Seniors, der passenderweise in diesem Jahr genauso alt wird wie sein Unternehmen: „Mir war es immer wichtig, dass kein Mitarbeiter mit ,Bauchschmerzen‘ zur Arbeit kommt“, sagt Schwegmann. Wer Fehler macht, sollte natürlich daraus lernen, aber Wertschätzung gegenüber der Belegschaft, das sei das Salz in der Suppe erfolgreicher Unternehmen. Vielleicht ein Grund dafür, warum die Produktion immer am Standort geblieben ist, und nie ins Ausland verlagert wurde, „wie mir das immer mal wieder externe Berater empfohlen hatten“, berichtet Schwegmann. „Heute sind wir das einzige Unternehmen, das in Deutschland Sicherungen produziert.“

In Coronazeiten hat sich das bewährt: „Wir konnten hier zentral alle nötigen Maßnahmen einleiten und sind die ganze Zeit lieferfähig geblieben,“ berichtet Michael Schröer. Er hat aktuell die alleinige Geschäftsführung inne, denn Bernd Schwegmann Junior muss sich nach schwerer Krankheit länger erholen. Dass auch solche Phasen gemeistert werden können, funktioniert natürlich nur, weil rechtzeitig die richtigen Weichen gestellt wurden. Die Mischung macht den Hidden Champion: die Bereitschaft, kreative Risiken mit Innovationspotenzial einzugehen und die Vorsicht, auf viele Szenarien vorbereitet zu sein.